Wissenschaftskrimi gelöst: Die Himmelsscheibe von Nebra stammt aus der frühen Bronzezeit
13. November 2020
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Die Himmelsscheibe von Nebra gilt als die älteste konkrete astronomische Darstellung der Welt. Lange Zeit war sich die Fachwelt einig, dass der Fund der Bronzezeit zugeordnet werden kann. Zwei deutsche Prähistoriker behaupteten in diesem Jahr, dass die Scheibe aus der Eisenzeit stamme und lösten damit eine Kontroverse aus. Neue Untersuchungen geben in der von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Fachzeitschrift ›Archaeologia Austriaca‹ aber nun Entwarnung: die Himmelsscheibe datiert eindeutig in die Bronzezeit.
Im Sommer 1999 fanden zwei Raubgräber auf dem Mittelberg bei Nebra in Deutschland einen Hort aus der frühen Bronzezeit (ca. 1600 v. Chr.), der aus der sogenannten Himmelsscheibe von Nebra, zwei Schwertern, zwei Beilen, zwei Armspiralen und einem Meißel bestand. Die Himmelsscheibe, die 2013 ins Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen wurde, misst ca. 32 cm im Durchmesser und zeigt die ältesten konkreten astronomischen Darstellungen der Welt.
Seit ihrer spektakulären Sicherstellung durch die Schweizer Polizei im Jahre 2002 sind die Himmelsscheibe von Nebra und ihr kulturelles Umfeld Gegenstand intensiver Forschungen, was sie zu einem der bestuntersuchten archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte macht. In einem 2020 erschienenen Aufsatz zweifeln die Prähistoriker Rupert Gebhard und Rüdiger Krause allerdings die in der Fachwelt allgemein akzeptierte Datierung der Himmelsscheibe an. Sie behaupten in ihrem Aufsatz ›Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra‹ (Archäologische Informationen 43), dass der Hortfund keinen ›geschlossenen Fund‹ darstelle, die Himmelsscheibe möglicherweise gar nicht vom ermittelten Fundort stamme und somit als Einzelfund ohne Kontext in die Eisenzeit (ca. 800 bis 50 v. Chr.) zu datieren sei.
Diese Annahme konnte eine 13-köpfige Forschungsgruppe nun in der vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) herausgegebenen Fachzeitschrift ›Archaeologia Austriaca‹ widerlegen. Die Studienautor/innen weisen darin nach, dass Gebhard und Krause mit unvollständigen und teilweise falschen oder verfälschend wiedergegebenen Daten argumentieren.
Gerichtsaussagen und Bodenproben: Keine Zweifel am Fundort Mittelberg
Das beginnt bereits beim Fundort: So ist die Authentizität der Fundstelle, des Mittelberges bei Nebra, seit langem zweifelsfrei gesichert, schreiben die Forscher/innen. Das bestätigen nicht nur die gerichtlichen Aussagen der Raubgräber und eines Hehlers, sondern auch die Nachuntersuchungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Durch Markierungen im Gelände, eine von den Raubgräbern weggeworfene Wasserflasche, die Spuren der von ihnen benutzten Hacke sowie erhöhte Gold- und Kupferkonzentrationen im Sediment, die durch die lange Lagerung der Himmelsscheibe erklärt werden können, lässt sich der Fundort exakt lokalisieren. Auch die Übereinstimmung der Bodenproben von der Fundstelle mit Erdanhaftungen an der Himmelsscheibe und an einem der mitgefundenen Schwerter sowie Anhaftungen an einem Bronzebeil sprechen schließlich für eine Herkunft vom Mittelberg.
Kupfer und Gold: Salzburger Land und Cornwall als Lagerstätten der Bronzezeit
Die Zusammengehörigkeit der Funde sehen die Forscher/innen in ihrer Publikation auch durch die Untersuchung des Kupfers für die Himmelsscheibe und der Beifunde bewiesen. Wie Spurenelemente und Bleiisotopenverhältnisse zeigen, stammt das Kupfer für beides aus derselben Lagerstätte im Salzburger Land. Die Produktion dieses ostalpinen Kupfers beginnt in der frühen Bronzezeit (18. Jh. v. Chr.) und endet mit dem 9. Jahrhundert v. Chr. - also ein Jahrhundert vor dem Beginn der Eisenzeit.
Das verwendete Gold stammt aus dem Gebiet des Carnon River in Cornwall, wo für das 17./16. Jahrhundert v. Chr. ein Abbau nachgewiesen ist. Und schließlich folgt die Zusammensetzung des Nebraer Hortes einem Muster, das auf die frühe Bronzezeit begrenzt ist.
Bereits mit dem Nachweis des Fundortes und der Zusammengehörigkeit der Funde brechen laut den Wissenschaftler/innen zwei wesentliche Grundannahmen der Kritiker, nämlich dass die Himmelsscheibe von Nebra ein Einzelfund und daher nur stilistisch einzuordnen ist, als Voraussetzung für eine eisenzeitliche Datierung zusammen.
Chemie und Archäologie: Radiokarbondaten und der Eisenzeit unbekannte Schiffsdarstellung
Gegen eine Einordnung der Funde in die Eisenzeit sprechen aber auch weitere chemische und archäologische Erkenntnisse: So korrelieren die Zinn- und Bleiisotopenverhältnisse der Funde aus dem Nebraer Hort mit zahlreichen anderen frühbronzezeitlichen Objekten. Die Herstellungs- und Verzierungstechnik spricht ebenfalls gegen ein eisenzeitliches Alter, insbesondere die Darstellung eines Schiffes auf der Himmelsscheibe ist ein für die Bronzezeit typisches Motiv, das in der Eisenzeit unbekannt ist.
Für die Datierung der Himmelsscheibe in die Bronzezeit halfen den Forscher/innen schließlich auch Radiokarbondaten weiter, die anhand organischer Reste an einem der Schwerter gewonnen werden konnten und in die Zeit um 1600 v. Chr. gehören. Die Zusammengehörigkeit der Himmelsscheibe mit den Beifunden wiederum wird durch deren ähnliche chemische Zusammensetzung und die übereinstimmenden Erdanhaftungen erhärtet.
Laut den Studienautor/innen besteht kein Zweifel daran, dass die Himmelsscheibe von Nebra längere Zeit in Gebrauch war, was sich aus mehreren Umgestaltungsphasen ableiten lässt. Am Ende der frühen Bronzezeit wurde sie dann aber mit den Beifunden dem Boden anvertraut. Zum Beginn der Eisenzeit war sie somit schon lange begraben.
Publikation (Open Access)
Ernst Pernicka et al, Why the Nebra Sky Disc Dates to the Early Bronze Age. An overview of the Interdisciplinary Results. In: Archaeologia Austriaca 104, Österreichische Akademie der Wissenschaften 2020, S. 89-122.
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Science thriller solved: The Nebra Sky Disc dates from the Early Bronze Age
13th November 2020
The following press release can be downloaded as a PDF here.
The Nebra Sky Disc is considered to be the oldest concrete astronomical depiction in the world. For a long time the experts agreed that the find can be assigned to the Bronze Age. This year, two German prehistorians claimed that the disc came from the Iron Age, sparking controversy. However, new investigations published in the periodical ›Archaeologia Austriaca‹ by the Austrian Academy of Sciences give the all-clear: the Sky Disc definitely dates to the Bronze Age.
In the summer of 1999 two treasure hunters found a hoard from the Early Bronze Age (approx. 1600 BC) on the Mittelberg hill near Nebra, Germany, which consisted of the so-called Nebra Sky Disc, two swords, two axes, two arm spirals, and a chisel. The Sky Disc, which in 2013 was included in the UNESCO Memory of the World Register, measures approx. 32 cm in diameter and shows the oldest concrete astronomical depictions in the world.
Since its spectacular seizure by the Swiss police in 2002, the Nebra Sky Disc and its cultural environment are the subject of intensive research, which makes it one of the best examined archaeological finds in recent decades. In an article published in 2020, however, the prehistorians Rupert Gebhard and Rüdiger Krause doubt the dating of the Sky Disc as generally accepted in the professional world. In their paper ›Critical comments on the find complex of the so-called Nebra Sky Disc‹ (Archäologische Informationen 43), they claim that the hoard does not represent a ›closed find‹, that the Sky Disc may even not come from the determined location, and thus as a single find without context should be dated to the Iron Age (approx. 800 to 50 BC).
This assumption has now been refuted by a 13-strong research team in the periodical ›Archaeologia Austriaca‹ published by the Institute for Oriental and European Archaeology of the Austrian Academy of Sciences (ÖAW). The authors of the study show that Gebhard and Krause argue with incomplete and sometimes incorrect or falsely reproduced data.
Court statements and soil samples: No doubt about the Mittelberg site
It already starts with the place of discovery: the authenticity of the site, the Mittelberg near Nebra, has long been unequivocally verified, the researchers write. This is confirmed not only by the judicial statements made by the treasure hunters and one dealer in stolen goods, but also by the follow-up investigations by the State Office for Heritage Management and Archaeology of Saxony-Anhalt. Markings in the terrain, a water bottle discarded by one of the looters, the traces of the pickaxe they used, as well as increased gold and copper concentrations in the sediment, which can be explained by the extended burial of the Sky Disc, can be used to precisely localise the site. Also the correspondence of the soil samples from the findspot with sediment adhering to the Sky Disc and to one of the accompanying swords as well as adherences on a bronze axe, ultimately speak for an origin from the Mittelberg.
Copper and Gold: Salzburg region and Cornwall as ore deposits of the Bronze Age
In their publication the researchers also see the unity of the finds proven through the analysis of the copper of the Sky Disc and the accompanying finds. As trace elements and lead isotope ratios show, the copper for both comes from the same ore deposit in the Salzburg region. The production of this eastern Alpine copper begins in the Early Bronze Age (18th century BC) and ends in the 9th century BC - one century before the beginning of the Iron Age.
The gold used comes from the area of the Carnon River in Cornwall, where for the 17/16th century BC exploitation is verified. And finally, the composition of the Nebra hoard follows a pattern that is limited to the Early Bronze Age.
According to the researchers, already with the proof of the place of discovery and the unity of the finds two key assumptions of the critics, namely that the Nebra Sky Disc is a single find and can therefore only be classified stylistically, collapse as prerequisite for an Iron Age dating.
Chemistry and Archaeology: Radiocarbon dates and the representation of boats unknown to the Iron Age
Further chemical and archaeological findings speak against classifying the finds to the Iron Age: The tin and lead isotope ratios of the finds from the Nebra hoard correlate with numerous other objects from the Early Bronze Age. The manufacturing and decoration technique also speak against an Iron Age date, in particular the depiction of a boat on the Sky Disc is a typical motif for the Bronze Age and unknown in the Iron Age.
In order to date the Sky Disc to the Bronze Age, the researchers were finally helped by radiocarbon dates, which could be obtained from organic remains in one of the swords and date back to around 1600 BC. The affiliation of the Sky Disc with the accompanying finds is, in turn, confirmed by their similar chemical composition and the corresponding soil adhesions.
According to the authors of the study, there is no doubt that the Nebra Sky Disc was in use over a longer period, as can be deduced from several redesign phases. By the end of the Early Bronze Age, however, it was committed to the ground with the accompanying finds. At the beginning of the Iron Age it had already been buried for quite a long time.
Publication (Open Access)
Ernst Pernicka et al, Why the Nebra Sky Disc Dates to the Early Bronze Age. An overview of the Interdisciplinary Results. In: Archaeologia Austriaca 104, Österreichische Akademie der Wissenschaften 2020, S. 89–122.
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